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„Multipotentialite“ – kann man das essen??

Mittlerweile wird man ja überall mit „fancy“ Wörtern und Anglizismen zugebombt. Was ist denn nun schon wieder ein „Multipotentialite“? Gibt’s das auch auf Deutsch?

Auf Deutsch gibt es zumindest das Wort „Multipotenz“. Kommt aus dem Lateinischen und ist zusammengesetzt aus multus („viel“) und potentia („die Kraft, das Vermögen“ oder auch „die Leistung“). In der Biologie werden z.B. Stammzellen, die sich zu verschiedenen Zelltypen einer bestimmten Linie entwickeln können, „multipotent“ genannt.

Ein „Multipotentialite“ ist nichts anderes als das englische Wort für eine multipotente Person (zu deutsch „Multipotentialist“ wenn man so will) – sozusagen ein „Vielkönner“ (bzw. jemand, der das Potential dazu hat, viel zu können…). Diesen Begriff hat Emilie Wapnick in ihrem TED-Talk geprägt. Sie beschreibt damit Personen, die nicht eine einzige, „wahre Berufung“ haben sondern mehrere Wege verfolgen, ob nun gleichzeitig oder nacheinander. Sie sind also das Gegenteil von Spezialisten.

Das Konzept selbst ist aber schon älter und es gibt viele weitere Begriffe für solche Persönlichkeiten: Scanner, Polymath, Renaissance Person… Jeder Begriff hat eine leicht andere Bedeutung, im Kern umfassen sie aber denselben Nenner: Personen mit einem breiten Spektrum von Interessen und Kenntnissen mit null bis mehreren Spezialgebieten.

Ist es was Gutes, ein Multipotentialite zu sein?

Auf jeden Fall ist es nichts Schlimmes. Aber das ist noch nicht überall angekommen. „Jack of all trades“ z.B. ist ein weiterer Begriff für Vielkönner. Bekannt ist da aber die Erweiterung: Jack of all trades – master of none! Böse übersetzt: „Kann alles ein bisschen aber nichts richtig“. Und das ist es, was heute immer noch viele denken. Spezialisten sind gesucht und werden geschätzt für ihr ungemeines Wissen in ihrem Spezialgebiet. Und das ist auch gut und richtig so! Allerdings sollte es im Umkehrschluss nicht heißen, dass Menschen mit verschiedensten Stationen in ihrem Lebenslauf nichts Wertvolles beitragen können. Oder dass es per se schlecht ist, wenn man nicht bei einem Beruf bleibt und damit zufrieden ist.

Wir werden aber recht früh darauf getrimmt, uns doch für eine Sache zu entscheiden. Man denke nur an die berühmte Frage „was möchtest du denn mal werden, wenn du groß bist?“. Die hat doch jeder von uns nicht nur einmal gehört. Hatte man dann direkt mehrere Auswahlmöglichkeiten parat, wurde das damit bemäkelt, dass man sich doch für eines entscheiden muss. Dabei sind es nicht wenige Kinder, die darauf mehrere Antworten haben. Oder bei denen die Antwort jede Woche anders ausfällt.

Die Erziehungswissenschaftlerin Tamara Fisher z.B. hat ihre Schüler nach deren Berufswünschen gefragt und einige ziemlich spannende Antworten bekommen, etwa diese hier:

Black Spider, 6th grade: missionary, teacher, professional trumpet player, non-profit worker, animal shelter volunteer, panda population researcher (to help the panda population), crocheter for charity, professional cartoonist. „It is hard to decide what I want to be because they all look so fun!!!“

Tamara Fisher in Educational Week, abgerufen 20.11.2018

Übersetzt in etwa:

Schwarze Spinne, 6. Klasse: Missionar, Lehrer professioneller Trompetenspieler, Helfer in gemeinnützigem Verein, Freiwilliger im Tierheim, Erforscher von Panda Populationen (um der Panda Population zu helfen), Häkler für Charity, professioneller Zeichner. „Es ist schwierig zu entscheiden was ich sein möchte, weil alles nach soviel Spaß klingt!“

Und hier kommen die Begrifflichkeiten unter andererem des „Multipotentialites“ ins Spiel. Emilie Wapnick sagt eben, dass man sich gar nicht entscheiden muss, wenn man dieser Spezies angehört. Warum nicht mehrere Wege verfolgen und verknüpfen? Sie bietet sogar an, dabei zu helfen daraus ein Geschäft zu machen, ein sogenanntes „Renaissance Business“.

Barbara Sher ist eine weitere Verfechterin dieses Konzepts. Sie bezeichnet solche Menschen als „Scanner“ und unterstützt seit über 40 Jahren Menschen mit „Zielfindungsschwierigkeiten“. Ich bin über ihr Buch „Ich könnte alles tun wenn ich nur wüsste was ich will“ gestolpert und war einfach begeistert, wie passend dieser Titel doch für mich ist.

Lange Rede kurzer Sinn: Es spricht nichts dagegen, einfach mehrere Karrieren zu verfolgen. Für Menschen, die diese Neigung haben ist es sogar eine echte Erleichterung und Bereicherung, wenn sie sich darauf einlassen.

Die Vorteile des Multipotentialite

Da wir Vielkönner uns immer mal wieder für andere Sachen interessieren, lernen wir dauernd neue Dinge dazu. Wie ich aus eigener Erfahrung leider sagen muss, vergisst man auch schnell wieder, aber der Casus knacksus ist der: Wir lernen zu lernen. Damit sind wir auch im Beruf immer ziemlich schnell dabei, wenn es etwas Neues gibt in das wir uns einarbeiten müssen. Das machen wir ja sowieso schond dauernd, kein Problem.

Bild: meshu.io, Bambuskette

Weiterhin bringen wir verschiedene Perspektiven mit. Während der Spezialist manchmal gefangen ist in seinem Gebiet, kommen wir von einer (oder mehreren) ganz anderen Richtung(en) und können Sichtweisen und Problemlösungen anbieten.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Kombination unserer Interessen oder, wie Emilie Wapnick es nennt, „idea synthesis“. Durch das Vereinen verschiedener Gebiete kommt es zu ganz neuen Ideen.

Ein Beispiel ist etwa die Firma „Meshu“. Die Gründer haben ihre Interessengebiete der Mathematik, Kartographie und Design zusammen gemixt und erstellen Schmuck, der die Kombination von verschiedenen Punkten auf einer Karte abbildet. So repräsentiert jedes Schmuckstück eine besondere Erinnerung wie z.B. Reisen, Lieblingsplätze, Orte von Freunden etc.

Ein Vielkönner zu sein hat also keine Nachteile?

Doch, das leider schon. Wie jeder Multipotentialite wahrscheinlich schon selbst erfahren hat, ist es die Fülle an Interessen, die einem auch mal schnell das Genick brechen kann.

Zu wissen, dass es nichts Schlimmes ist mehrere Wege zu verfolgen ist das eine. Man muss sich aber immer noch entscheiden, mit welchem (meinetwegen auch zwei oder drei) man anfängt. Dann gilt es, bei der Sache zu bleiben und sich nicht von interessanten Entdeckungen vom Weg abbringen zu lassen. Da es nämlich so viele spannende Themen gibt die zwischendurch auftauchen, kann man sich schnell verzetteln.

Mir kommt da eine Anfangsszene von „Malcolm mittendrin“ in den Sinn. Selbst wenn es nicht hundertpro passt, ich möchte es euch nicht vorenthalten:

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